Löwenpranke und Katzenpfote
Adam Fellegis vollendeter Beethoven in einer Festspielsoiree in Wahnfried
BAYREUTH Von Frank Piontek
Hermann Hesse erzählte in seinen Erinnerungen an den Komponisten Othmar
Schoeck, dass er des Öfteren mit ihm in einer düsteren Kneipe in
Bergamo eingekehrt sei. Dort stand ein altes, heruntergekommenes Tafelklavier,
das nur noch Missklänge herausließ. Sobald aber Schoeck sich ans
Instrument setzte, wurde der „brave alte Kasten" wieder zum Klavier: „Und
doch hatte Schoeck es fertig gebracht, uns darauf Musik zu machen."
Flügel mit Tücken
Der Flügel, der zuweilen in Wahnfried ertönt, ist gewiss keine vergleichbare „Ruine",
aber er hat seine Tücken, die sich unter unerfahrenen Händen zirpend äußern
können. Nun aber war ein wahrer Klavierspieler zu erleben, der alle Makel
des schönen, alten Instruments ins unhörbare Nichts verbannte, als
Adam Fellegi zwei zusammengehörende Großwerke des Klavierrepertoires
auf sein Programm setzte: Beethovens Eroica-Variationen op. 35 und Franz Liszts
kongeniale Transkription der „Eroica", die Beethoven zwei Jahre
nach dem Variationswerk komponierte.
„Fast barbarisch"
Wagner, zu dessen musikalischen Hausgöttern zumal in Wahnfried bekanntlich
Beethoven gehörte, spricht in seiner „Beethoven"-Schrift vom
un gemein einfachen Thema des letzten Satzes, in dem sich der „ideale
gute Mensch seines Glaubens" schon offenbare.
Fellegi, der die den Variationen zu Grunde liegende Bass-Stimme des berühmten
Kontratanzes „fast barbarisch" nennt, nimmt's vorwiegend heiter.
Er vermeidet jegliches falsche Pathos, weil er weiß, wo das richtige
zu finden ist.
„Die zehn Finger eines Menschen genügen,
um die Harmonien wiederzugeben,
welche durch den Verein von hundert
Musizierenden hervorgebracht werden."
Franz Liszt
Er widmet sich lust- und humorvoll den Beethoven'schen Grobheiten der Dissonanzakkordik,
setzt das Pedal wohltuend sparsam ein und bietet eine erfrischende Interpretation
des grandiosen Zyklus', die ahnen lässt, dass zwischen den gelegentlich
vorromantischen Tönen der neuen (freilich durch Bach und seine Söhne,
auch durch Mozart vermittelten) Empfindsamkeit und der entfesselten Klassizität
ein wundersam spielerischer Freiraum liegt.
Fellegi spielt nicht „auf dem Klavier: Er beherrscht das Klavier mit
größter, unverschwiemelter Sensibilität. Er schmiert nicht
an den Noten entlang, sondern präsentiert - mit einem untrüglichen
Gespür fürs Tempo, für die Nuancen und die Übergänge,
doch auch für die Brüche und Überraschungen der Wunderpartitur
- in gleicher Weise die Symphonie.
Gelernt an der Staatsoper
Man mag an Liszts Beschreibung seiner Übertragungen denken, wenn Fellegi
den Sinn fürs Instrumentale mit beglückender Selbstverständlichkeit
kultiviert: „Die zehn Finger eines Menschen genügen, um die Harmonien
wiederzugeben, welche durch den Verein von hundert Musizierenden hervorgebracht
werden." So folgen die Sätze hier fast attaca, doch kann von Eile,
ja von Hast keine Rede sein.
Schwermütiger Sinn
Fellegi, der sein Handwerk unter anderem während einer siebenjährigen
Repetitionszeit an der Ungarischen Staatsoper lernte, zaubert den Klaviersatz
mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit daher.
Löwenpranke und Katzenpfote: Mit seinen zwei Händen realisiert er,
fern von aller äußerlichen Brillanz, den tiefen, hier durchaus nicht
schwermütigen Sinn der „Eroica". Man konnte schließlich,
wenn man wollte, sogar die Klarinette hören, die im Finalsatz mit einem
gewaltigen Wirbelwind, sozusagen alla ungarese, durch den Csardas hindurchweht.
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